Geflügel und Gemensch

Tiere mit Flügeln werden von Menschen meist ungeachtet ihrer Art als „Geflügel“ bezeichnet. Hier ein kleiner Einblick in die Welt der Tiere, die ihre wichtigsten Gliedmaße nicht nutzen können.

Puten leben monatelang in dermaßen überfüllten Ställen, dass ein Flügelschlagen oder Beinestrecken nahezu unmöglich ist. Sie stehen in ihrem eigenen Kot und die Urin- und Ammoniakdämpfe verätzen ihnen die Augen und Lungen. Millionen Puten überleben schon die ersten Wochen nicht. Im Schlachthof werden sie an ihren schwachen, verkrüppelten Beinen aufgehängt. Enten und Gänse erleiden Unvorstellbares. Bei Wasser-“Geflügel“ sind die Zustände unbeschreiblich - man denke nur an die Schwimmhäute und das Bedürfnis nach Wasser. Zurzeit entzündet sich übrigens gerade ein neuer Skandal ums Gänse-Lebendrupfen für kuschelige Daunen. So genannte Masthähnchen sind fast keine Lebewesen mehr - Fressmaschinen, die zusammenbrechen, weil die Knochen nicht mitkommen und die inneren Organe komplett überlastet sind. Hühner sollten es eigentlich gesetzlich nun besser haben – Käfighaltung-Verbot – frohlockte man jahrelang der Politik Glauben schenkend. Doch „Lege“-Hennen und Tierschützer wurden betrogen und so leiden Hühner weiter auf engstem Raum - unter neuem Namen: Volierenhaltung.

Verunglimpfung & Beschimpfung

Mitte November fand die EuroTier in Hannover statt. Unter anderem mit der World Poultry Show. Es nahmen laut Veranstalter mehr als 1.900 Aussteller und mehr als 140.000 Besucher teil. Im Rahmen des Tag des Geflügels fand die Mitgliederversammlung des ZDG (Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft e.V.) statt. Dort wurde eine Erklärung hinsichtlich des „aktuellen Diskurses zur Geflügelhaltung“ veröffentlicht: Eine Verunglimpfung der deutschen Geflügelwirtschaft sei nicht mehr tolerierbar. Seit einigen Monaten sehe sich die deutsche Geflügelwirtschaft mit heftigen Vorwürfen und Unterstellungen konfrontiert. „Tierrechtsbewegungen wie PeTA oder die Animal Liberation Front belasten ganz erheblich einen konstruktiven Dialog“, warnt die ZDG. Die gesellschaftliche Diskreditierung von Geflügelhaltern und deren Familien sowie die zunehmende Gewaltbereitschaft mit der Zerstörung bzw. Beschädigung von Eigentum müsse öffentlich verurteilt werden. Verurteilt wurde übrigens jemand anderes, und zwar der DBV (Deutscher Bauernverband). Dieser darf vier tierschutzfeindliche Aussagen nicht mehr wiederholen, urteilte das Berliner Landgericht am 4. Oktober. Auch gegen den niedersächsischen Ministeriumssprecher Gert Hahne liegt eine Anzeige wegen übler Nachrede, Verleumdung, Beleidigung und Dienstpflichtverletzungen vor.

Lobby & Lügen

„Es gibt keine Tierschutz-Probleme in Geflügelmastbetrieben.“ Gebetsmühlenartig wiederholte dies Astrid Grotelüschen in den vergangenen Monaten. Zu eng ist die Ministerin für Agrar und Tierschutz mit der Geflügelzuchtindustrie verbunden. Sie hat sich bisher nicht gescheut, als Lobbyistin der Massentierzucht ganz offen für die Interessen der Agrarindustrie einzutreten, in der sie selbst als Geschäftsführerin im Putenmastbetrieb ihres Mannes tätig war. Allein schon dieser Interessenkonflikt lässt begründet den Rücktritt einer Ministerin fordern. Verschiedene Tierschutzorganisationen haben gegen die Ministerin, ihren Mann Garlich und den familieneigenen Putenmastbetrieb Strafanzeige wegen des Verdachts auf Tierquälerei gestellt.

Wenden & Winden

Das Niedersächsische Agararministerium wendet sein Fähnlein: nun will das Land auf einmal eine Tierschutz-Offensive starten: Auf einer nicht-öffentlichen Sitzung des Agrarausschusses des Niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums am 22. Oktober wurden schlussendlich doch Mängel in der Massentierhaltung eingestanden. Davon erfuhr die Öffentlichkeit rund einen Monat später aus der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung - termingenau zum Ende der Eurotier. Die geplanten neuen Leitlinien sollen gemeinsam mit der Wirtschaft erarbeitet werden. Wunsch des Ministeriums ist zudem, dass es auf EU- und Bundesebene gleiche Vorschriften gebe. Entflammte Hoffnung also gleich wieder im Keime erstickt - wir können davon ausgehen, dass sich nichts zum Wohl der Tiere ändern wird.

Schützer & Nützer

Diese Worthülsen können vielmehr als Reaktion auf die zunehmende Sensibilisierung in der Bevölkerung gewertet werden. Das Thema flackerte gar die Mainstream-Medien rauf und runter. Eine ganze Reihe von Tierschutzvereinen hat seit November die Website www.schlachthof-transparent.org ins Leben gerufen. Noch mehr Unterstützer (120 Bürgerinitiativen und Verbände) umfasst der bundesweite Zusammenschluss Netzwerk Bauernhöfe statt Agrarfabriken. Und das Bündnis gegen Stallpflicht (17 Verbände und Tierschutz-Organisationen) meldet sich auch zu Wort. Sie wollen eine geplante Änderung der Geflügelpest-Verordnung kippen, damit Freilandhaltung Freilandhaltung bleiben kann.

Gigatonnen Leid

Die Produktion von „Geflügel“fleisch wurde im Jahr 2009 auf knapp 1,3 Millionen Tonnen ausgeweitet. Damit hat sich die Erzeugung gegenüber dem Jahr 2008 um 3,4% oder gut 42.400 Tonnen erhöht. Dies ist vor allem auf die Steigerung der Produktion von Jungmasthühnerfleisch zurückzuführen, die im Vergleich zum Vorjahr um 6,0% (+ 42.500 Tonnen) auf gut 749.000 Tonnen wuchs. Die Produktion von Entenfleisch erhöhte sich auf 62.400 Tonnen (+ 2,6%, + 1.600 Tonnen). Das hohe Vorjahresergebnis bei der Truthahnfleischerzeugung wurde mit einer Produktion von 438.000 Tonnen gehalten. Dagegen sank die Produktion von „Suppenhühnern“ deutlich. Es wurden 3.600 Tonnen oder 9,0% weniger Fleisch erzeugt als im Vorjahr. 2008 wurden weltweit rund 92 Millionen Tonnen „Geflügel“fleisch verzeichnet. Zusammen mit den Stadtstaaten Hamburg und Bremen gibt es in Niedersachsen rund 50,9 Millionen kommerzielle Geflügeltiere. In Bayern, dem Land mit dem zweitgrößten Hühnerbestand sind es 9,5 Millionen, in Sachsen 9,2 Millionen. Weltweit hat China die bedeutendste Geflügelwirtschaft. Dort gab es 2007 rund 4,5 Milliarden Hühner, in den USA rund 2,1 Milliarden.

Feuer & Flamme

Bei all diesen schwindelerregenden Tatsachen ist es kein Wunder, dass immer mehr Widerstand entfacht wird und sich einige Menschen aktiv und konsequent für „Geflügel“ einsetzen. Hierfür gibt es verschiedene Aktionsformen - von offenen Tierbefreiungen, für die sich Medien brennend interessieren über Aufnahme und Pflege der Tiere auf Lebenshöfen oder eben Sagotageakte, um die unsägliche Tierausbeutung zumindest weniger lukrativ zu machen. Vergessen wir nicht, dass es einen Weg aus der Hölle für die Tiere gibt: Veganismus demonstrativ leben und andere damit anstecken - das ist unsere heißeste Waffe!

Viola Kaesmacher


Weitere Infos:

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