Österreichischer 278a Prozess:

Verdeckte Ermittlerin aufgeflogen - SOKO hatte den geglückten Einsatz eines verdeckten Ermittlers geleugnet

Dass mit allen erdenklichen Mitteln der Strafverfolgungsbehörden in der österreichischen §278a Causa („kriminelle Organisation“) gearbeitet wurde, war ja durch Auszüge aus den Akten oder Bescheide an die Betroffenen bekannt. Optische Überwachung, Wohnungsabhörungen, Peilsender, Telefonabhörungen, nachträgliche Handy-Funkzellenortungen & Co. Da die ganzen Maßnahmen nichts Illegales zu Tage brachten, verschwanden die meisten Ergebnisse und angeordneten Maßnahmen im Nichts; zumindest jedoch nicht in den Akten, wo sie eigentlich hingehören, denn wenn intensivste Überwachung nichts oder sogar Entlastendes zu Tage bringt, müsste dies natürlich offen gelegt werden. Daran hat die Behörde, die eine kriminelle Organisation auf Biegen und Brechen herbeikonstruieren möchte, allerdings kein Interesse. Wenn jedoch vorsätzlich gelogen wird, um tendenziell Entlastendes zu verbergen, nimmt das Ganze eine neue Qualität an. Konkret ging es um die Frage, ob es in der vermeintlichen kriminellen Organisation verdeckte ErmittlerInnen gegeben hat.

SOKO: Keine verdeckten Ermittler erfolgreich eingeschleust

Mitglieder der SOKO wurden diesbezüglich vor Gericht befragt. Die Antwort lautete: Es habe den Versuch gegeben, einen verdeckten Ermittler (VE) einzuschleusen. Diese Person(en) hätten versucht, ein Vertrauensverhältnis mit den Beschuldigten aufzubauen. Das sei aber aufgrund der Konspirativität nicht gelungen und so sei die Operation eingestellt worden. Das Bild, das so gezeichnet werden soll, ist eindeutig: auf der einen Seite die konspirative kriminelle Organisation, die sich perfekt abschottet, auf der anderen Seite der Rechtsstaat, der es daher nicht schafft, in diese Struktur einzudringen. Es war schon immer klar, dass die (nicht einsehbaren) Polizeiakten erheblich mehr Informationen enthalten (müssen), als die Gerichtsakten. Denn viele Anträge zu speziellen Ermittlungsmaßnahmen, die in den Akten als genehmigt erscheinen, sieht man nach der Genehmigung das letzte Mal. Die Ergebnisse der Ermittlungen tauchen nirgendwo auf. Zuletzt hatte die Richterin die Aushändigung einiger Observationsprotokolle beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) beantragt. Darin sind dann zwei Angeklagte eher zufällig auf eine Notiz gestoßen, die der BVT beim Zusammenstellen der Protokolle wohl übersehen hatte. Es ging darin um die Observation eines Angeklagten des Vereins gegen Tierfabriken (VGT) bei einer Jagdstörung. Die JagdstörerInnen hatten sich zunächst an einem Parkplatz getroffen, im Observationsprotokoll steht danach der Satz: „Die VE kommt vom Bahnhof, begrüßt die Zielgruppe und steigt dann in den PKW mit Kennzeichen [xyz] ein.“

Rekonstruktion

Somit war nicht nur eindeutig, dass es in der Tat mindestens eine verdeckte Ermittlerin gegeben hat, es konnte auch alles andere rekonstruiert werden: Der VGT wusste, wem der PKW mit dem entsprechenden Kennzeichen gehört, und die Fahrerin konnte sich erinnern, wer ihre einzige Beifahrerin bei der Jagdstörung gewesen war. Anhand der VGT-Mitgliederliste konnte rekonstruiert werden, wann sie zum VGT kam (April 2007 = Monat der SOKO-Gründung). Dann ist sie angeblich im Juni 2008 (ein Monat nach den 23 Hausdurchsuchungen und 10 Festnahmen, die zu einer dreimonatigen U-Haft führten) nach Frankreich verzogen und ward nie mehr gesehen. Sie hat dann eine eMail aus „Frankreich“ geschrieben, in der sie allen alles Gute wünscht für die schwere Zeit. Diese Mail gab es jetzt noch und bei genauerer Überprüfung hat sich herausgestellt, dass sie eine österreichische IP Adresse hat, sie war also nicht in Frankreich. In der Aktivisten-Datenbank des VGT hatte sie eine Adresse angegeben, die jetzt im Grundbuch nachgeschaut wurde: Die Wohnung läuft auf einen anderen Namen und dieser andere Name ist der Leiter der Abteilung für verdeckte Ermittlungen im Bundesministerium für Inneres (BMI).

15 Monate überall dabei

Damit war klar, dass „Danielle Durand“, wie sie sich nannte, tatsächlich eine verdeckte Ermittlerin war. Sie galt beim VGT nicht nur als engagierte Aktivistin, die überall dabei war (bei verschiedenen Demos - u.a. gegen Repression, bei Jagdsabotagen, bei offenen Befreiungen, auf einer internen Mailingliste, bei Recherchen, bei privaten Tierrechtsveranstaltungen, auch einmal bei einem Plenum einer anderen Gruppe (BAT, Basisgruppe Tierrechte), beim mehrtägigen internationalen Tierrechtstreffen in Appelscha, Holland, etc.), es kam auch zu intimen Kontakten zwischen ihr und einem der Angeklagten. Auf der einen Seite also die Aussage der SOKO, es habe den Versuch gegeben einen VE einzuschleusen, das sei aber wegen Erfolglosigkeit und des Misstrauens gegenüber Fremden abgebrochen worden, auf der anderen Seite eine tatsächliche VE, die 15 Monate lang alle Aktivitäten mitgemacht hat, und auch vor Intimitäten nicht Halt gemacht hat. Dass die SOKO bereit ist, vor Gericht offensichtlich unwahr auszusagen, zeigt, wie wichtig es ihnen ist, potentiell Entlastendes unter den Tisch fallen zu lassen. Wie tendenziös die Ermittlungen von Anfang an waren, war allen Beteiligten der Angeklagtenseite schon immer klar, jetzt besteht eine gewisse Hoffnung, dass allmählich auch der Richterin ein Licht aufgeht. Wenn man sich allerdings vergegenwärtigt, wie die Richterin in den bisherigen 51 Verhandlungstagen aufgetreten ist, gilt wahrscheinlich eher das Sprichwort „die Hoffnung stirbt zuletzt“.

Vor Gericht

Nach Veröffentlichung der Entdeckung der VE im November hat der Leiter der Abteilung für verdeckte Ermittlungen im BMI die Richterin kontaktiert und ihr den Inhalt der Veröffentlichung grundsätzlich bestätigt. „Danielle Durand“ ist nun, zusammen mit dem Leiter der Abteilung (ihrem sogenannten Führungsbeamten), anonymisiert und unter Ausschluss der Öffentlichkeit für den 13. Dezember zur gerichtlichen Vernehmung geladen. (un)


Mehr Informatinen:
Auf der Suche nach der Kriminellen
Organisation - Eine Zwischenbilanz


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