"Eine positive Veränderung für andere Tiere erreichen"
Matthew Cole und Karen Morgan im Interview
Frage: Wie kam es zu der Idee, eine Verbindung zwischen Sichtbarkeit und Verobjektivierung zu beschreiben?
MC: Für mich gibt es zwei Antworten auf diese Frage. Die Kurzversion lautet: Ich hatte die Idee zu dem Diagramm („Die materielle und diskursive Positionierung von Tieren“) in einem Moment der Inspiration. Ich zeichnete es auf ein Stück Papier, fotografierte das Ganze und schickte es Karen und meiner Partnerin Kate Stewart (die auch Veganerin und Soziologin ist). Seitdem haben wir drei es verfeinert und in vielen verschiedenen Papers, Präsentationen und Vorträgen verwendet. Die längere Antwort ist: Ich suchte nach einem Weg, um visuell zu beschreiben, was mit den „Typen“ nichtmenschlicher Tiere passiert. Andere Akademiker_innen haben Tabellen und Diagramme verwendet, um Mensch-Nichtmensch-Beziehungen zu kategorisieren, aber keine dieser Kategorien an sich erzählt uns etwas darüber wie Tiere in verschiedene Kategorien plaziert werden. Mir scheint es, dass die Kategorien, in die wir Tiere einordnen („Haustiere“, „Lebensmittel“, „wild“, etc.) sich auf zwei Arten unterscheiden: Zunächst danach wie oft und wie wir sie in unserer Kultur dargestellt sehen (die Frage der Sichtbarkeit), zweitens entsprechend der Art der Behandlung, die mit diesen Kategorien einhergeht, wie etwa auf einer Farm, einem Laboratorium, etc. gefangengehalten zu werden (die Frage der Verobjektivierung). Wenn man beide Fragen gemeinsam abbildet, kann man buchstäblich sehen wie sie miteinander interagieren und sich gegenseitig stärken. Das ist hilfreich, um soziologische Fragen darüber zu beantworten, wie Menschen Überzeugungen über den „richtigen“ Platz für verschiedene Arten von Tieren konstruieren. Je mehr wir diese Prozesse verstehen, desto besser werden wir in der Lage sein, gegen sie anzugehen.
KM: In den meisten Kulturen sind die Positionierungen anderer Tiere inzwischen so normalisiert, dass es vielen Menschen schwer fällt, sie als soziale Konstruktionen zu erkennen folglich erklärt sich die Nützlichkeit einer visuellen „Karte“, um diese Sachverhalte zu betonen. Wir haben das Schaubild in einer Vielzahl von Situationen eingesetzt und befunden, dass es extrem gut dazu geeignet ist unsere Ideen zu vermitteln.
Frage: Wie sind verschiedene Formen der Unterdrückung von menschlichen und nichtmenschlichen Tieren in eurem akademischen Ansatz miteinander verbunden?
MC: Wir sind der Arbeit anderer Wissenschaftler_innen zu Dank verpflichtet, die bereits viele der Verbindungen zwischen verschiedenen Formen der Unterdrückung behandelt haben, so zum Beispiel Carol J. Adams in „The Sexual Politics of Meat“, Charles Patterson in „Eternal Treblinka“ und David Nibert in „Human Rights / Animal Rights“ (sowie vielen anderen). Als wir mit der Arbeit zur materiellen und diskursiven Positionierung von Tieren begannen, fiel uns auf, dass dieselben Prozesse auch auf die Positionierung von Menschen in Bezug auf Gender, „Rasse“, soziale Klasse usw. zutrafen. Die Fragen der Unsichtbarkeit und Verobjektivierung sind ebenso wichtig, um Sexismus, Rassismus und Klassismus zu verstehen wie für die Erklärung von Speziesismus. Das legt zudem nahe, dass wir von den Erfolgen von Anti-Rassist_innen, Feminist_innen usw. etwas für den Widerstand gegen Speziesismus lernen können (aus dem selben Grund können Akademiker_innen, die in diesen Feldern tätig sind auch von der veganen Bewegung lernen). Es gibt viele weitere Verbindungen. Zum Beispiel ist das Entmenschlichen von Menschen dadurch, dass man sie als „Tiere“ bezeichnet (besonders als gehasste und gefürchtete Tiere wie Ratten oder Kakerlaken) ein sehr verbreiteter Weg, um Unterdrückung zu „rechtfertigen“ der aber nur funktioniert, weil Speziesismus bereits existiert und uns lehrt, andere Tiere abzuwerten.
KM: Bevor ich damit begann, die Unterdrückung anderer Tiere zu studieren, konzentrierte ich mich in erster Linie darauf, Geschlechterbeziehungen zu untersuchen dabei legte ich den Fokus insbesondere auf die Gewalt gegen Frauen (häusliche Gewalt und sexuellen Missbrauch) sowie auf die Darstellung von Frauen als „Opfer“ von Gewalt. Nach dem Studium der (Un)sichtbarkeit mancher Frauen sowie spezieller Formen des Missbrauchs und der Wege auf denen Männer und Frauen diskursiv positioniert werden war es ein logischer Schritt, auch andere Formen der Unsichtbarkeit zu untersuchen und zu verstehen, dass im Rahmen zwischenmenschlicher Beziehungen ebenso wie in Mensch-Nichtmensch-Beziehungen ähnliche Prozesse der Interaktion und Bestärkung stattfinden. Für mich führte das Studium der Arbeiten anderer Wissenschaftler_innen, in denen die Verbindungen zwischen dem Missbrauch von Frauen, Kindern und anderer Tiere hervorgehoben wurden, schnell zu einem wachsenden Bewusstsein darüber, dass alle Formen der Unterdrückung miteinander verbunden sind. Die Prozesse der Marginalisierung, Verleugnung, Rechtfertigung und Rationalisierung sind alle sehr ähnlich ob wir nun rassistischen, homophoben, gender-bedingten oder speziesistischen Missbrauch erörtern.
Frage: Worin liegt für euch die Motivation, akademische Forschung über Mensch-Tier-Beziehungen zu betreiben?
MC: Die wichtigste Motivation für mich ist, dass offensichtlich die Möglichkeit besteht, eine positive Veränderung für andere Tiere durch akademische Forschung auf diesem Gebiet zu erreichen, doch nicht viele Soziolog_innen scheinen diesen Kampf aufzunehmen, besonders nicht in Großbritannien. Die Soziologie hat wichtige Beiträge dazu geleistet, viele Formen menschlicher Unterdrückung zu verstehen und zu hinterfragen. Die nichtmenschlichen Tiere verdienen, dass wir ihnen die selben Dienste leisten. Meiner Ansicht nach sollte die Soziologie darum bemüht sein, die Gesellschaft zum Besseren zu verändern und nicht nur darum, sie zu verstehen oder zu interpretieren. Ich glaube auch, dass ich als Veganer eine ethische Verantworlichkeit habe, meine Fähigkeiten als Soziologe dafür einzusetzen, Speziesismus zu bekämpfen.
KM: Als Soziologin und Veganerin, erschien es mir als logische Konsequenz, meine akademischen Fähigkeiten einzusetzen, um eine Bewusstheit über etwas zu erreichen, das mir sehr am Herzen liegt. Die Soziologie sollte eine positive Kraft sein und diejenigen, die in dieser Disziplin tätig sind, sollten sich aktiv bemühen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Über viele Jahre hinweg hat sich das Fach selbst darauf beschränkt, sich auf zwischenmenschliche Verhältnisse zu konzentrieren. Ich habe das Gefühl, es ist längst überfällig, diese Debatten auszuweiten und anzuerkennen, dass wir (als Menschen) die Welt mit anderen Lebewesen teilen, die ein Recht darauf haben gehört zu werden und frei von menschengemachtem Leid, von Ausbeutung und Unterdrückung zu sein.
Frage: Inwieweit ist Veganismus im akademischen Umfeld in Großbritannien akzeptiert?
MC: Im Allgemeinen, glaube ich, gibt es nur sehr wenig Verständnis für Veganismus im Bereich der Hochschulen. Veganismus wird tendenziell als eine Art „abweichendes“ menschliches Verhalten betrachtet, das akademisch betrachtet interessant sein mag, jedoch wird er gewöhnlich nicht ernsthaft als soziale Bewegung behandelt, die die speziesistische Rechtgläubigkeit der britischen Gesellschaft herausfordert. Speziell in der Soziologie gibt es eine Menge Widerstand gegen die Vorstellung, dass nichtmenschliche Tiere überhaupt berücksichtigenswert sind. Manche Soziolog_innen scheinen zu glauben, dass die Soziologie mit dem Studium der Menschen und menschlicher Gesellschaft und Kultur anfängt und endet. Das ist eine speziesistische Idee, denn sie verneint die Fähigkeit anderer Tiere „sozial“ zu sein oder eine „Gesellschaft“ zu haben. Sie übersieht außerdem die Tatsache, dass, auf einer symbolischen Ebene, die Britische Gesellschaft, wie die meisten anderen Gesellschaften auch, darauf basiert sich selbst von seinem „Anderen“ abzugrenzen gemeinhin gesprochen von nichtmenschlichen Tieren und der „Natur“. Zudem verneint sie, dass nichtmenschliche Tiere einen Anteil an menschlichen Gesellschaften haben. Menschliche Gesellschaften hängen jedoch von der Ausbeutung nichtmenschlicher Tiere ab dem Konsum ihres Fleisches, der Ausbeutung ihrer Fortpflanzungsapparate und ihrer Arbeitskraft usw. Diese unterdrückerischen Formen der Mensch-Nichtmensch-Beziehungen sind alle konstitutiv für so vieles, das wir als selbstverständlichen Teil der alltäglichen menschlichen Gesellschaft betrachten: Bauernhöfe, Esskultur, Familienleben etc, etc. Selbstverständlich gibt es Ausnahmen zu diesem Mangel an Verständnis für die Wichtigkeit von Veganismus, aber es gilt noch einen langen Weg zu beschreiten. Eine unserer größten Hoffnungen ist, eines Tages zu erleben, dass Britische Universitäten Kurse über die Soziologie von Speziesismus, Veganismus, Tierrechten usw. anbieten. Wir hoffen auch, dass Universitäten eines Tages eine rein vegane Verpflegung anbieten, als Anerkennung und als Statement, dass Nahrungsmittel tierischen Ursprungs an sich ausbeuterisch sind und deshalb ethisch inakzeptabel sind.
KM: Es gibt ein paar ermutigende Signale in manchen Disziplinen (wenn vielleicht auch vornehmlich in der Philosophie). Innerhalb der Soziologie selbst gibt es vergleichsweise wenig Interesse in Großbritannien - wenn auch mehr in anderen Teilen der Welt wie in den USA oder Kanada. In meiner persönlichen Erfahrungen hat es sich als schwierig herausgestellt, viele Aspekte des Veganismus oder verwandter Tierrechts-Themen in die Lehre zu integrieren und es ist schon ironisch, dass es die Xiamen Universität in China war und keine Universität in Großbritannien, die uns die Möglichkeit bot, eine kurze Lehrveranstaltung zu hierarchischen Beziehungen zu halten, die die Aspekte miteinander verbundener Unterdrückung und des Veganismus mit einschloss. Was die praktischen Aspekte betrifft, wie etwa die Verpflegung in akademischen Einrichtungen, sind vegane Lebensmittel tendenziell extrem begrenzt. Wir waren bei ein paar Konferenzen oder Workshops, die in der Lage waren zu garantieren, dass das gesamte zur Verfügung gestellte Essen vegan war - allerdings können wir unzählige Horrorstories von großen Konferenzen und Top-Universitäten in Großbritannien erzählen, die nicht in der Lage waren auch nur eine grundsätzliche Versorgung für Veganer_innen bereitzustellen.
Frage: Warum betreibt ihr die Webseite „Vegatopia?“
MC: Es war Karens Idee, die Idee einer „Vegatopie“ durch eine Webseite besser zum Einsatz zu bringen. Wir waren beide frustriert darüber, wie schwierig es schien, Informationsquellen und Referenzen zu finden, die jede_r in der veganen Bewegung benötigt, um eine Argumentation aufzubauen, für Essays, Artikel, Präsentationen zu recherchieren usw. So war eine der Kernideen für die Webseite möglichst viel Information und Links zu anderen Informationsquellen bereitzustellen, um jede_n zu unterstützen die/der sich für Veganismus einsetzt. Wir könnten einiges mehr mit der Webseite tun (wie die Bibliographien ausweiten, neue Quellen recherchieren, die Seite besser aufbauen, die Suche einfacher gestalten usw.), doch uns sind im Moment durch einen Mangel an Zeit und Geld Grenzen gesetzt. Wenn eure Leser_innen in der Lage wären, uns dabei zu helfen, wären wir über eine Email von ihnen sehr dankbar. Wir könnten einen ganzen Artikel über unsere ehrgeizigen Bestrebungen schreiben, die Vegatopia-Webseite auszubauen und zu verbessern!
KM: Vegatopia entstand aus dem Bedürfnis heraus das Ansehen von Veganismus zu verbessern. Wie ich bereits erwähnt habe, habe ich über Frauen als Gewaltopfer geforscht (und mit ihnen gearbeitet). Wie Aktivist_innen und Behörden in Verbindung mit akademischen Forscher_innen diese Frauen vertreten und für sie daran arbeiten, das Bewusstsein zu vergrößern, die wichtigen Themen hervorzuheben und letztlich politische Entscheidungen zu beeinflussen, liefert ein brauchbares Vorbild. Wie auch immer, der erste Schritt schien darin liegen zu müssen die Information, die es bereits gab, zusammenzustellen und Kontakte mit Einzelnen und Gruppen herzustellen die auf ähnlichen Gebieten arbeiten. Wir wollten außerdem Akademiker_innen und Aktivist_innen ein Forum bieten, sich auszutauschen und zusammenzuarbeiten, um unser gemeinsames Ziel der Beendigung der Ausbeutung und Unterdrückung anderer Tiere zu erreichen. Wir haben das Gefühl, es gibt viele verpasste Möglichkeiten für Forschung und Aktivismus zusammenzuarbeiten. Wir glauben, dass wir zusammen eine größere Veränderung bewirken können. Leider sind unsere Ambitionen für die Seite momentan wesentlich größer als unsere Ressourcen (Zeit, Geld und technische Kenntnisse). Es gibt so vieles mehr, das wir umsetzen möchten, doch wir können uns nur sehr langsam durch unsere Liste arbeiten. Um daher Matthews Punkt zu wiederholen - wir wären sehr dankbar für jede Hilfe, die eure Leser_innen anbieten könnten.
Vielen Dank für das Gespräch!
matthew.cole@vegatopia.org
karen.morgan@vegatopia.org
Interview und Übersetzung:
Andrea Heubach
|
|

Die Mitbegründer von Vegatopia, Karen Morgan und Matthew Cole, sind SoziologInnen. Sie leben und arbeiten in Großbritannien. Ihr Forschungs- und Lehrinteressen beinhalten ethisch motivierten Veganismus, Gewalt gegenüber nichtmenschlichen Tieren, die Ausbeutung nichtmenschlicher Tiere/Tierrechte, Gender und Gewalt, Arbeitslosigkeit, Utopie-Studien, menschliche Sexualität und Kriminologie.
Ausführlicheres zur Darstellung der „materiellen und diskursiven Positionierung von Tieren“ und zur Art und Weise, auf die stark sichtbare Darstellungen von Tierfiguren benutzt werden, um die Lebensrealität der ausgebeuteten Tiere zu verbergen, sind zu finden in:
Stewart, K. & Cole, M. (2009): ‘The conceptual separation of food and animals in childhood’, Food, Culture and Society, 12 (4): 457-476
Manche der Verbindungen, zwischen der Verobjektivierung und Unsichtbarmachung nichtmenschlicher und menschlicher Tiere werden diskutiert in:
Cole, M. & Morgan, K.: Ethical veganism and the challenge of interlocking oppressions: how do we create Vegatopia? Programmatische Rede im Rahmen des 38. IVU Weltvegetarierkongresses in Dresden am 30. Juli 2008. Online abrufbar unter: vegatopia.org/pdfs/
IVU_Dresden_Vegatopia.pdf
|