Affenschande im Tiergarten Straubing

Sebastian, Alfons und Lutz sind drei Schimpansen, die seit Jahren ein gänzlich artwidriges Dasein zu fristen genötigt sind, eingesperrt hinter Betonwänden, Eisengittern und Isolierglasscheiben in einem ostbayerischen Provinzzoo.

Über eine Viertelmillion Besucher verzeichnet der „Tiergarten Straubing“ eigenen Angaben zufolge pro Jahr, nicht wenige kommen eigens der zur Schau gestellten Schimpansen wegen, die neben Löwen, Tigern und Krokodilen zu dessen Hauptattraktionen zählen. Mehr als 1700 Tiere aus 200 Arten werden in Straubing gehalten, viele davon Exoten.

„Der Zoo“, wie es unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Charles Darwin im aktuellen Jahresbericht des Straubinger Tiergartens heißt, „ermöglicht wie kaum ein anderer Lernort, die Vielfalt von Arten und Formen zu betrachten, zu dokumentieren und sich an ihnen zu freuen“. Es werden insofern regelmäßig Unterrichtsgänge und Führungen für Schulklassen der Region veranstaltet, um den Kindern eine Vorstellung davon zu vermitteln, „wie sich die Mannigfaltigkeit der Tierarten im Laufe der Naturgeschichte entwickelt haben könnte“.1

Tatsache ist freilich: ein Zoo eignet sich zu nichts weniger, als einen sinnfälligen Bezug zur Natur herzustellen. Gerade deshalb fällt es den Besuchern auch nicht auf, dass die Tiere fortgesetzt leiden. Selbst bei den Schimpansen des Straubinger Tiergartens fällt es ihnen nicht auf, gleichwohl deren Leid ins Auge springen müsste. Sie werden in einem völlig unzulänglichen Betonkasten gehalten, der noch nicht einmal den Mindestanforderungen entspricht, die das zuständige Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft nach jahrzehntelangem Kampf engagierter Tierschützer im Jahre 1996 aufgestellt hat.

Wie der verantwortliche Veterinäramtsleiter der Stadt Straubing, Dr. Franz Able, hierzu mitteilt, sei das Affenhaus bereits gebaut worden, bevor diese Haltungsrichtlinien erlassen wurden. Es sei insofern „vielleicht wünschenswert, die Gestaltung der Innengehege noch zu verbessern. Allerdings ist das schwierig, weil sie aus Beton bestehen.“ Grundsätzlich aber entspräche die Haltung den Richtlinien: „Die Eignung eines Geheges kann man nicht allein nach zentimetergenauer Einhaltung von vorgegebenen Maßen beurteilen. Eine wesentliche Rolle spielen auch die Betreuung der Tiere und genügend Beschäftigungsmöglichkeiten.“ Im Übrigen werde die Anlage regelmäßig durch das Landratsamt sowie die Regierung von Niederbayern kontrolliert. Fazit: „Den Schimpansen im Zoo Straubing geht es gut“.2

Die Frage, weshalb es Haltungsrichtlinien, die die Mindestgröße von Wildtiergehegen vorschreiben, überhaupt gibt, wenn einzelne Zoos sich beliebig darüber hinwegsetzen können, beantwortet Veterinäramtsleiter Able nicht. Ungeachtet landratsamtlicher oder sonstiger Kontrollen: die Haltung der drei Schimpansen im Straubinger Zoo ist und bleibt schon alleine der nicht ausreichenden Gehegegröße wegen tierschutzgesetzwidrig.

Die Behauptung des Veterinäramtsleiters, die Schimpansen zeigten „keine auffälligen Verhaltensstörungen“, ist nicht nachvollziehbar. Selbst einem Laien müssten die stereotypen Bewegungsmuster von Alfons und Lutz, beide 16 Jahre alt, auffallen, die auf massiven Hospitalismus hindeuten, wie es ihn auch bei autistischen Kindern gibt. Dr. Able hingegen spielt die Symptome schwerer Deprivation – vor allem die stereotypen Bewegungsmuster („Fensterputzen“, „Bodenputzen“) und Jaktationen (Kopfwackeln, Körperschaukeln) der beiden Schimpansen, ihr zielloses Hin-und-Hergehen, aber auch ihre bis zur Apathie reichende Teilnahmslosigkeit – zu harmlosen „Marotten“ herunter. Auch der mittlerweile 33-jährige Sebastian erscheint schwer verhaltensgestört, nach Auskunft des Veterinäramtes hingegen sei er nur „sehr ungesellig“ und müsse deshalb alleine gehalten werden. Gleichwohl könne aber nicht von Isolationshaltung die Rede sein: „Die Schimpansen können zwar nicht in einer Gruppe gehalten werden, können aber am Gitter miteinander Kontakt aufnehmen. Sie können sich sehen, hören und auch berühren.“3

Bis 2001 teilte Sebastian seinen als „Gehege“ bezeichneten Betonkasten mit einem weiteren Schimpansen namens Cain. Dieser überlebte eine offenbar unsachgemäß vorgenommene Narkose nicht. Das „Spielmaterial“ für Sebastian besteht aus einem Ball, einer Plastiktonne und einem ausrangierten Schlafsack. Die „Klettereinrichtungen“ in dem grün angestrichenen Betonkasten sind völlig unzureichend, Rückzugsmöglichkeiten gibt es nicht.

Der aktuelle Betreuungschlüssel des Straubinger Zoos liegt bei 15 Pflegern plus 6 Azubis für 1700 Tiere, die durchschnittliche Pflegezeit pro Tier, einschließlich Fütterung und Käfigreinigung, beträgt weniger als 4 Minuten pro Tag.4

Aber selbst wenn die Affenanlage vergrößert, das Beschäftigungsangebot erweitert und der Personalschlüssel erhöht werden sollten - worauf es keinen Hinweis gibt -, bliebe Schimpansenhaltung in einem Zoo immer artwidrige Qualhaltung. Schimpansen sind die nächsten Verwandten des Menschen, sie unterscheiden sich genetisch von diesem in weniger als 1,3 Prozent, in einigen Gensequenzen nur im Promillebereich; letztlich sind sie mit dem Menschen enger verwandt als etwa mit Gorillas oder Orang-Utans. Nach allem, was Biologie und vergleichende Verhaltensforschung wissen, empfinden Schimpansen zum größten Teil genauso wie Menschen: Freude, Leid, Trauer, Schmerz; ihre kognitiven, sozialen und kommunikativen Fähigkeiten sind denen des Menschen sehr ähnlich.

Die Frage, weshalb Zoobetreiber und Zoobesucher ebendiese enge Verwandtschaft zwischen Schimpanse und Mensch und das Unrecht, erstere hinter Betonwände, Eisengitter und Isolierglasscheiben zu sperren, so notorisch verdrängen oder verleugnen, beantwortet Primatenforscher Volker Sommer wie folgt: „Affen sind den Menschen nahe, aber die Nähe ist nur ein Beinahe. Das führt zu einem Dilemma: Weil uns hinreichend ähnlich, werden unsere Verwandten als abgerichtete Witzfiguren in Fernsehen und Zirkus missbraucht, zum Anstarren in Zoos eingesperrt oder als Lieferanten von Blut und Organen ausgeschlachtet. Sie gelten jedoch zugleich als hinreichend verschieden von uns, so dass ihnen keine Rechte zustehen. Den Graben zwischen uns und ihnen schüttet aber nicht nur die Verhaltensforschung rasant zu, sondern auch die moderne Genetik.“ Mit Jane Goodall, Biruté Galdikas, Roger Fouts, Toshisada Nishida und anderen namhaften Primatologen betont Sommer: „Es ist wissenschaftlich unhaltbar, überhaupt zwischen Menschen und Menschenaffen zu unterscheiden.“5

Seit Jahren kämpft eine Straubinger Tierrechtsorganisation darum, die drei Schimpansen aus ihrem Elendsdasein zu befreien. Eine Schande sei es für Straubing und ganz Ostbayern, so eine aktuelle Kampagne, dass im 200. Geburtsjahr von Charles Darwin im örtlichen Zoo immer noch Schimpansen gefangengehalten und hinter Eisengittern zur Schau gestellt würden. Es sei an der Zeit, die Schimpansenanlage aufzulösen und Sebastian, Alfons und Lutz an einen artgerechten und geschützten Ort zu verbringen, beispielsweise in die Stiftung AAP in Holland, die Schimpansen und andere exotische Tiere aus Laboratorien, Zirkussen und Zoos aufnimmt.6 Selbstredend, so die Gruppe TierrechteAktiv e.V., stehe der Einsatz für die drei Straubinger Schimpansen stellvertretend für den Kampf um ein Verbot von Primatenhaltung überhaupt.7

Erwartungsgemäß gibt es erbitterten Widerstand gegen das Ansinnen, die Straubinger Schimpansenhaltung zu beenden, vor allem seitens lokaler Politiker, Medienvertretern und Geschäftsleuten, die immer schon mit dem Zoo als Werbepartner paktieren. In der Tat, wie Volker Sommer schreibt, „halten uns Affen den Spiegel vor. Es diente unserer Selbsterkenntnis ungemein, dass Charles Darwin 1871 behauptete, der Mensch stamme vom Affen ab. Damit stellte er jenes Schema auf den Kopf, wonach der von Gott engelsgleich erschaffene Mensch durch die Sünde zu Fall kam. Darwin kehrte den «Abstieg von den Engeln» um in einen «Aufstieg von den Affen», machte aus einer eher schmeichelhaften «Devolution» eine ernüchternde «Evolution». Noch immer fühlen sich Menschen hierdurch in ihrer Würde verletzt, sehen sie Affen doch als Karikaturen, als unvollkommene Entwürfe für die Krone der Schöpfung. Und Geisteswissenschaftler postulieren noch immer dogmatisch einen unüberbrückbaren Graben zwischen «dem Tier» und «dem Menschen». Dabei kann es so faszinierend sein, sich dem Evolutionsgedanken radikal zu öffnen, sich als lediglich eine besondere Art von Tier zu begreifen. Für mich ist es nicht erniedrigend, sondern erhebend, mit allen anderen Lebensformen verbunden zu sein durch einen äonenalten Strom von Generationen.“8

Die Straubinger Tierrechtsorganisation veranstaltet regelmäßig Infotische vor dem Zoo und in der Fußgängerzone der Stadt und erfährt dabei viel positive Resonanz seitens der Bevölkerung. In den Köpfen der Verantwortlichen tut sich allerdings nichts, ganz im Gegenteil. Einen für Ende März angemeldeten Infotisch suchte die Stadtverwaltung mit allerlei formalrechtlichen Tricks auszubremsen. Gleichwohl fand er wie geplant statt – von den zum Gespräch eingeladenen Vertretern von Zooverwaltung, Veterinäramt, Stadt und lokalen Medien tauchte erwartungsgemäß niemand auf.

Auf der kurze Zeit später stattfindenden Jahreshauptversammlung des „Vereins der Freunde des Tiergartens e.V.“ hob Oberbürgermeister Markus Pannmayr die „enorm wichtige Rolle“ des Tiergartens für Straubing hervor: Als „moderner, wissenschaftlich geleiteter Zoo“ sei dieser ein „Aushängeschild für die Stadt“. Ausgiebig sonnte man sich in der Zahl von knapp 300.000 Besuchern im Jahr 2008. Anstatt mit Blick auf die Schimpansenhaltung zumindest ansatzweise Selbstkritik zu üben, zogen die „Freunde des Tiergartens“ mit Vehemenz über die „unqualifizierten Äußerungen“ der Tierrechtler her. Einsicht: null.

Geplant ist insofern als nächster Schritt eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den zuständigen Amtstierarzt wegen Verstoßes gegen §16a TierSchG i.V.m. Art.20a GG und §1 TierSchG, demzufolge Amtstierärzte als so genannte „Beschützergaranten“ für das Wohl der Tiere und die Einhaltung des Tierschutzrechts zuständig sind und als solche verpflichtet, gegen tierschutzrechtswidrige, weil gegen Normen des Tierschutzrechts verstoßende Handlungen und Zustände, einzuschreiten. Diese persönliche Pflicht einzelner Amtstierärzte beruht auf der entsprechenden Pflicht der Behörde, für die sie tätig sind und deren Erfüllung ihnen als dienstliche Aufgabe obliegt. §16a TierSchG eröffnet Amtstierärzten kein Entschließungsermessen. Stattdessen müssen sie immer handeln, wenn in ihrem Zuständigkeitsbereich Verstöße gegen Tierschutzrecht begangen wurden, noch werden oder bevorstehen. Bleiben Amtstierärzte untätig, obwohl die Voraussetzungen der Generalermächtigung des §16a TierSchG erfüllt sind, können sie selbst Straftaten i. S. d. §17 TierSchG durch Unterlassen begehen.
Colin Goldner


Fußnoten:

1 Tiergarten Straubing: Jahresbericht 2007, 3/2008, S.13.
2 Able, Franz: „Den Schimpansen im Zoo geht es gut“ (Interview). in: Straubinger Rundschau vom 21.2.2009, S.39
3 ebenda
4 vgl. Tiergarten Straubing: Jahresbericht 2007, 3/2008, S.7.
5 Volker: Bruder Affe. in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ Folio) 8/2003, S.14f. (auch: www.ucl.ac.uk/gashaka/Afrika/)
6 www.aap.nl
7 www.tierrechte-straubing.de
8 Sommer, Volker: Sommer, Volker: Bruder Affe. in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ Folio) 8/2003, S.14f. (auch: www.ucl.ac.uk/gashaka/Afrika/)

Linktipps:

Lebenslänglich im Tiergarten Straubing:
www.tierrechte-straubing.de

Der TV-Beitrag online:
www.br-online.de/bayerisches-fernsehen/kontrovers/kontrovers-beitrag-affenschande-ID1246882501016.xml

Kurzfassung des Vortrages, den der Autor Colin Goldner auf dem „Tierbefreiungskongress 2009“ auf Burg Lohra gehalten hat:
www.tierrechte-straubing.de/macht.html