"... und plötzlich interessiert sich der Staatsschutz für Dich"
Von der Tierversuchsgegnerin und Menschenrechtlerin zur „linken Demonstrantin“

Einige LeserInnen erinnern sich vielleicht noch an die von Friedrich Mülln undercover gedrehten Fotos und Filmaufnahmen aus Europas größtem Affenlabor, Covance in Münster. Der amerikanische Konzern Covance ist eines der größten Auftragsforschungsinstitute der Welt. Die Niederlassung in Münster ist spezialisiert auf Toxikologie, also Giftigkeitstests. Diese werden unter anderem an schwangeren Affenweibchen durchgeführt.
Auf Friedrich Müllns Aufnahmen ist unter anderem zu sehen, wie Affen dort in Einzelhaft in winzigen, blanken Metallkäfigen gehalten werden, wie Labormitarbeiter Affen als „böse“ bezeichnen oder sie mit Schimpfwörtern wie „Arschloch“, „kleines Dreckstück“, „gottverdammter Bastard“ oder „beschissenes Tier“ betiteln. Auch körperliche Gewalt gegenüber den Tieren ist zu sehen, so wurde etwa ein Affe energisch geschüttelt, weil er sich der täglich stattfindenden Verabreichung von Testsubstanzen zu widersetzen versuchte. Manche Affen mussten zum Amüsement der Pfleger zu Radiomusik tanzen.

Widerstand gegen Tierversuche …

2003 startete die britische Tierschutzorganisation „British Union for the Abolition of Vivisection“ (BUAV) eine Kampagne gegen das Auftragsforschungsinstitut, der sich auch in Deutschland TierschützerInnen und -rechtlerInnen anschlossen. Sie organisierten unter anderem eine Protestaktion vor dem Labor im April 2003, an der auch ich teilnahm. Nachdem die Tierpfleger, die die Tiere zu versorgen hatten, das Labor betreten hatten, wurde eine der beiden Zufahrten zum Labor blockiert. Wie die meisten anderen Demonstranten hielt ich ein Transparent und rief Slogans wie „Stoppt, stoppt, stoppt Tierversuche - schließt, schließt, schließt Covance!“. Dies führte im juristischen Nachgang zu einem Strafbefehl und damit einer Verurteilung wegen Nötigung. Die Angestellten des Labors indessen ließen sich von der Blockade durchaus gerne davon abhalten, ihre Arbeit anzutreten.

Nach der Ausstrahlung des Filmmaterials von Friedrich Mülln in Frontal 21 (ZDF) am 09.12.2003 und einem Bericht der BILD-Zeitung formierte sich in Deutschland bundesweiter Widerstand gegen die auf den Aufnahmen offensichtlich erkennbare Tierquälerei, der sich in einer Kampagne namens „Covance schließen“ organisierte.

Im Rahmen dieser Kampagne gab es mehrere Demonstrationen, Infostände, Flugblätter wurden verteilt. Einmal nahm ich an einer so genannten „Homedemo“ teil. An einem frühen Abend wurde das Privathaus eines hochrangigen Mitarbeiters von Covance aufgesucht, dort wurden Parolen gegen Tierversuche gerufen. Nachfolgend wurde erneut wegen Nötigung gegen mich und Andere ermittelt - die Ermittlungen scheinen aber eingestellt worden zu sein, da bis heute kein Ermittlungsergebnis übermittelt wurde.

… und die Folgen

Seither war ich, wie ich später erfuhr, ins Visier des Staatsschutzes gerückt. Jahre später wurde mir von einem Freund mitgeteilt, dass sich in seiner eigenen Akte ein Vermerk befand: „Frau Timm ist dem Dezernat Staatsschutz als Tierschützerin und linksgerichtete Demonstrantin bekannt“, unterzeichnet von einem Karlsruher Kriminaloberkommissar.

Bei Personen- und Fahrzeugkontrollen erfuhr ich einige Zeit später, dass im Online-Dateisystem der Polizei sogar noch eindeutigere Einträge zu finden seien - neben der „Tierschützerin“ war ich in der Zwischenzeit von der „linksgerichteten“ zur „linken Demonstrantin“ geworden, bei einem Bekannten mit einer sehr ähnlichen Historie fand sich sogar ein Eintrag „Steinewerfer“. Die kontrollierenden Beamten berichteten, dass sie in der Ausbildung lernen, Personen mit solchen Einträgen ganz besonders aufmerksam zu kontrollieren. Klar, was das bedeutet: nur einmal mit einem solchen Eintrag zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, kann ziemlich ungünstig für den Betroffenen ausgehen.

Für mich hieß das: die Einträge müssen weg, zumal sie meiner Ansicht nach falsch und ungerechtfertigt waren und sind. Also rief ich beim Karlsruher Staatsschutz an, der darüber alles andere als erfreut war („Woher haben Sie meine Nummer? Wir können nicht miteinander sprechen!“), und mich an den Datenschutzbeauftragten des Landes Baden-Württemberg, Peter Zimmermann, verwies. Dieser war sehr interessiert an dem Fall und bestätigte, dass besonders mit der polizeilichen Arbeitsdatei „Politisch motivierte Kriminalität“ (AD PMK), in der auch meine Einträge zu finden sind, viel Schindluder getrieben würde. In der Folgezeit übernahm er die Korrespondenz mit dem Staatsschutz.
Kein Einzelfall

Dabei kam zutage, mit welcher Akribie und Detailverliebtheit sich der Staatsschutz mit Tierversuchsgegnern, Umweltschützern und anderen als politisch links eingestuften Aktiven befasste - und welche Erkenntnisse dabei gespeichert wurden. Darunter auch unzählige Informationen, die nach Ansicht des Datenschutzbeauftragten den Staatsschutz überhaupt nichts angingen.

Meine unliebige „politische Motivation“ bezog sich nicht nur auf meinen Einsatz für Tierrechte, sondern auch auf den für Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung, denn auch auf diesem Gebiet organisierte ich Infostände und besuchte zwei Demos.

Im nächsten Jahresbericht, dem „28. Tätigkeitsbericht 2007 des Landesbeauftragten für den Datenschutz Baden-Württemberg“ kritisierte Zimmermann daraufhin auf achteinhalb DIN A4 Seiten unter anderem anhand meines „Falles“ den Umgang mit der AD PMK, die von und bei den Staatsschutz-Dezernaten der Polizei geführt wird. Meine Person - im Tätigkeitsbericht lapidar „A“ benannt - wird nach seinen Ermittlungsergebnissen in der AD PMK als „potenzielle Straftäterin“ geführt und unter anderem der Kategorie „links“ zugeordnet. Daraus ergab sich für den Staatsschutz schon vor Jahren die Rechtfertigung, mich umfassend zu überwachen und unzählige Daten und Infos über mich zu speichern.

Datenschützer Zimmermann schrieb zu meinem „Fall“: „Während einige Datenspeicherungen in der AD PMK zulässig bis vertretbar erschienen, weil daraus mögliche Straftaten oder zumindest Ordnungsverstöße hervorgingen, ließ sich das für rd. zwölf Datenspeicherungen nicht behaupten.“ Er bezeichnet die Speicherpraxis des Staatsschutzes in weiten Teilen als „überflüssig“ und „zweifelhaft“. Über alle diese Vorgänge - Überwachung und gespeicherte Daten - wurde ich bis heute nur bruchstückhaft informiert; der Staatsschutz verweigert mir standhaft alle Details.

Faule Ausreden des Staatsschutzes

Gegenüber dem Datenschutzbeauftragten hat der Staatsschutz dafür eine sehr simple Erklärung: Es gehe nicht darum, „taktisches Vorgehen der Polizei vor Ort geheim zu halten, sondern nicht offen darzulegen, dass solche Erkenntnisse als Indizien gespeichert werden“. Die „Erfahrung in den einzelnen Szenen“ belege, dass die Betroffenen nach Kenntnis der „polizeilichen Vorgehensweise“ ihr Verhalten ändern würden und dadurch die „polizeiliche Aufgabenwahrnehmung erschweren bzw. unmöglich machen“.

Die Antwort des Datenschutzbeauftragten Zimmermann: „Auf einen Nenner gebracht sollte das wohl heißen: Die Registrierung legaler oder sogar grundrechtlich besonders geschützter politischer Aktivitäten der Betroffenen durch den polizeilichen Staatsschutz muss geheim bleiben, weil die Betroffenen nicht wissen dürfen, dass die Polizei diese Aktivitäten erfasst und speichert, denn wenn sie es wüssten, würden sie ihr Verhalten ändern. Aus meiner Sicht offenbart diese Erklärung ein geradezu erschreckendes Verständnis von den Aufgaben der Polizei im demokratischen Rechtsstaat.“

Zimmermann hält diese Auskunftsverweigerung für „unzulässig, ja sogar für rechtsmissbräuchlich“. Er beanstandete die Auskunftsverweigerung daher förmlich und forderte das Innenministerium zu einer Stellungnahme auf. Dieses gab dem Staatsschutz jedoch Rückendeckung. Selbst die Behandlung und Diskussion des Tätigkeitsberichts im baden-württembergischen Landtag änderte die Position der Landesregierung nicht und ergab lediglich, dass eine Überprüfung der AD PMK erneut in Aussicht gestellt wurde.

Im vergleichbaren Fall eines mir bekannten Tierrechtlers sah der Staatsschutz selbst alles ganz anders: „Gegen die Bekanntgabe der Datenspeicherung an xxx bestehen aus polizeitaktischer Sicht keine Bedenken.“ Aufgrund der ebenfalls erfolgten Intervention des Datenschutzbeauftragten gegen die Speicherung von Daten über xxx in der AD PMK wurden die Daten inzwischen gelöscht und die hierauf bezogenen Unterlagen vernichtet.

Letzte Möglichkeit: Klageerhebung

Damit waren alle Wege ausgereizt, die der Datenschutzbeauftragte gehen konnte. Mir blieb nur der Gang zu einem Anwalt, und die Möglichkeit, Klage zu erheben: eine verwaltungsrechtliche Verpflichtungsklage, um Auskunft über bzw. die Löschung meiner Daten zu erzwingen und eine Unterlassungsklage vor dem Verwaltungsgericht, um zu verhindern, dass die Polizei in Zukunft vergleichbare Vorkommnisse weiterhin speichert.

Dr. Udo Kauß, Rechtsanwalt aus Freiburg und gleichzeitig Landesvorstand der Humanistischen Union Baden-Württemberg, war so freundlich und übernahm meinen Fall. Nachdem erste anwaltliche Anträge auf Auskunftserteilung wiederum nur auf taube Ohren stießen, erhob Herr Kauß Ende 2008 Klage gegen das LKA Baden-Württemberg, wo der Staatsschutz angesiedelt ist. Eine Reaktion gab es bis Redaktionsschluss nicht.

Was die Klagen ergeben, wird sich noch zeigen. Für den Moment zeigt diese Geschichte, was viele andere deutsche und eventuell österreichische LeserInnen, sicher bestätigen können: „Demokratischer Alltag der Bevölkerung“ und der Wille, „Einfluss auf den demokratischen Willensbildungsprozess zu nehmen“, werden staatsübergreifend kriminalisiert: Menschen- und Bürgerrechtler ebenso wie Tierrechtler und Umweltschützer finden sich plötzlich vom Zentrum demokratischen Wirkens in den Fokus staatsschützerischer Aktivitäten gerückt.
Nicola Timm