Repression ungeahnten Ausmaßes
Ein Bericht zur aktuellen Situation in Österreich, zu den Versuchen der staatlichen Behörden, die Tierschutz- und Tierbefreiungsbewegung zu zerschlagen, zu den Reaktionen der Öffentlichkeit und der Welle der Solidarität mit den Angeklagten und Betroffenen.
„Am Mittwoch, 21.05.2008, wurde um 6:00 Uhr Früh die Wohnungstür gewaltsam eingetreten. Es wurde also nicht zuerst angeläutet. Ca. 20 bis 30 Polizeibeamte und zwei WEGA-Beamte in voller Ausstattung stürmten die Wohnung, was als völlig unverhältnismäßig und übertrieben zu bezeichnen ist. Marcus (Name geändert) lag zu dieser Zeit nackt in seinem Bett, er wurde von den Beamten aus dem Schlaf gerissen und mit Waffen bedroht. Es wurde ihm nicht gestattet, eine Vertrauensperson oder einen Anwalt zu verständigen bzw. hinzuzuziehen. Während Polizisten die Hausdurchsuchung durchführten, wurde er in einem Zimmer festgehalten. Ihm blieb es also verwehrt, der Durchsuchung beizuwohnen (...).“
Dieses Szenario, hier geschildert von einer Freundin eines Betroffenen, gleicht einem Albtraum, der leider kein schnelles Ende finden will. Seit dem 21. Mai, dem Tag als vermummte Polizisten und Kriminalbeamte 23 Wohnungen, sowie Vereins- und Lagerräume von Tierbefreiungs- und Tierschutzorganisationen durchsuchten, befinden sich Christian, Christof, Elmar, Felix, Jan, Jürgen, Kevin, Leo, Martin und Sabine in Untersuchungshaft. Ihnen und vier weiteren Aktivst_innen wird vorgeworfen sich an einer „kriminellen Organisation“ nach §278a des österreichischen Strafgesetzbuches beteiligt zu haben.
§278a: Angeklagt sind einige, gemeint sind wir alle!
Es ist schier unvorstellbar: Eine kleinere Anzahl von Sachbeschädigungen bildet die vermeintliche Grundlage einer der größten Ermittlungsaktionen der letzten Jahre in Österreich. Die Repression richtet sich gegen die österreichische Tierschutz- und Tierbefreiungsbewegung. Deren Aktivist_innen beteiligen sich seit Jahren an erfolgreichen Kampagnen, wie etwa gegen die Modehausketten Peek und Cloppenburg bzw. Kleider Bauer oder versuchen, wie etwa der mitgliederstarke ‚Verein gegen Tierfabriken’ (VgT), über öffentlichkeitswirksame Aktionen auf die Gesetzgebung Einfluss zu nehmen. Der österreichische Staat sieht sich durch diese Politik und - so legen es zumindest die jährlichen Verfassungsschutzberichte nahe durch einige verklebte Schlösser und vereinzelte Buttersäureanschläge offenbar in seinen Grundfesten bedroht. Für einen Rechtsstaat nicht unüblich beginnen Verfassungs- und Staatsschutz, sowie Landeskriminalämter die Aktivist_innen zu überwachen und zu bespitzeln. Es geht den Ermittlungsbehörden nach eigenen Verlautbarungen allen voran darum, die sog. wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen zu schützen: „Es ist evident, dass im Wege legaler Protestaktionen häufig schwerwiegendere wirtschaftliche Nachteile für die betroffenen Unternehmen verursacht werden, als durch illegale Aktivitäten wie etwa Sachbeschädigungen“, so die selbsternannten Verfassungsschützer im Jahresbericht 2007. Folgerichtig versuchen die Behörden auch die unliebsamen und anscheinend schwer mit der rechtsstaatlichen Ordnung vereinbaren „legalen Demonstrationen“ über alle möglichen Schikanen einzuschränken. Die ‚Offensive gegen die Pelzindustrie‘ berichtet auf ihrer Webseite immer wieder von Repressionen im Rahmen der Proteste gegen das österreichische Unternehmen, hier in einer Mitteilung vom Mai 2007: „Seit Dezember 2006 versuchen die Behörden offensichtlich die Proteste zu kriminalisieren und legen ihnen jede nur erdenkliche Hürde in den Weg. Vor allem in Wien, versucht die Polizei am konsequentesten jeden Protest gegen Kleider Bauer und Hämmerle zu unterbinden, indem seit April 2007 Kundgebungen direkt vor den Geschäften ganz einfach verboten werden.“ Zwar konnten Kundgebungen in der Folgezeit nach Protesten zumindest unter Auflagen wieder stattfinden, das Vorgehen der Behörden hat aber gezeigt, dass diese durchaus gewillt sind, jede Unmutsäußerung im Keim zu ersticken. Nur vor diesem Hintergrund ist es zu erklären, wie weit der Kreis der Verdächtigen im aktuellen §278a-Verfahren gezogen wird: Nicht nur die Tierbefreiungsgruppen und -organisationen wie die ‚Basisgruppe Tierrechte’ oder ‚die tierbefreier’, die sich in der Vergangenheit wiederholt an Aktionen des Zivilen Ungehorsams wie Dachbesetzungen und Blockaden beteiligt haben, stehen im Fokus der neuerlichen Repression, sondern auch kleinere und größere Tierschutzvereine, wie etwa der ‚Verein gegen Tierfabriken’, sowie die ‚Vegane Gesellschaft Österreichs’. Die Verdächtigten wurden laut den Ermittlungsakten mindestens mehrere Monate lang überwacht. Ihre Telefonate wurden abgehört, Emails mitgelesen und Bewegungsprofile angelegt, um so die Strukturen der Gruppen und Vereine auszuforschen. Durch die Beschlagnahme nahezu aller Unterlagen, Computer und Spendendateien während der Durchsuchungsaktion soll nun deren politische Arbeit verunmöglicht werden. Den Ermittlungsbehörden geht es offensichtlich nicht darum Straftaten aufzuklären die Beteiligung an konkreten Taten wird den Betroffenen bis heute nicht vorgetragen , sondern Ziel der Repression ist die Zerschlagung oder zumindest die Schwächung der aktiven Tierbefreiungs- und Tierschutzszene in Österreich.
Um zu diesen unvorstellbaren Schlag gegen eine politische Bewegung auszuholen, bedurfte es eines Konstrukts wie dem der Bildung einer „Kriminellen Organisation“, damit die schwerwiegenden Eingriffe in die Freiheitsrechte der Betroffenen überhaupt legitimiert werden konnten. In der Anordnung zur Durchsuchung wird von einer „auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen“ schwadroniert, die „wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die die Freiheit und das Vermögen bedrohen (...) ausgerichtet ist“ Konkrete Beweise blieben die Ermittlungsbehörden bisher schuldig, vielmehr sollte auf der Grundlage schlichter Behauptungen und Vermutungen durch Hausdurchsuchungen und die Beschlagnahme von Computern, Handys und anderen Unterlagen vermeintliche „Beweismittel“ sichergestellt werden. Je tiefgründiger man sich mit den erhobenen Vorwürfen beschäftigt, desto haarsträubender wird die Argumentation der Ermittler_innen: Seit 1997 würden sich die Aktivist_innen (die teilweise erst vor weniger als einem Jahr nach Österreich gezogen sind) an der Organisation von Kampagnen gegen von Tierausbeutung profitierenden Unternehmen beteiligen (was nach geltenden österreichischen Recht noch längst kein Verbrechen darstellt). Um entsprechende Handlungsstrategien zu kriminalisieren, werden die Beschuldigten, ohne Verdachtsmomente zu nennen, für alle im Rahmen von Kampagnen durchgeführten illegalisierten Aktionsformen verantwortlich gemacht. Die abstruse Beweisführung ist nicht auf „schlampige“ Ermittlungstätigkeit zurückzuführen, sondern hat das Ziel, über abstrakte Anschuldigungen und behauptete Verbindungen verschiedener Einzelpersonen einen Zusammenhang von legalen Demonstrationen, Aktionen des Zivilen Ungehorsams und Direkten Aktionen herbei zu konstruieren, um alle, die sich aktiv für eine Änderung des ausbeuterischen Mensch-Tier-Verhältnisses einsetzen, unter Generalverdacht zu stellen. „Getroffen hat es einige Gemeint sind wir alle“ , heißt es passend in einer der ersten öffentlichen Stellungnahmen der Rechtshilfegruppe, die seit Beginn der Durchsuchungen und Verhaftungen aktive Solidaritätsarbeit mit den Angeklagten leistet.
„Wir sind nicht alle es fehlen die Gefangenen“
Sicherlich, die Repression zielte auch darauf, die Tierschutz- und Tierbefreiungsbewegung einzuschüchtern, sie bewirkte aber zumindest in den Wochen unmittelbar nach der Durchsuchungs- und Verhaftungswelle das Gegenteil. In zahlreichen Städten Österreichs, wie z.B. Wien und Graz wurden noch am gleichen Tag Spontandemonstrationen mit bis zu 300 Teilnehmer_innen organisiert. An den darauf folgenden Tagen kam es auch im Ausland zu Demonstrationen, in Redebeiträgen und auf Transparenten riefen sie zur Solidarität mit den Betroffenen auf und skandierten vor den Botschaften und Konsulaten Österreichs „Freiheit für alle politische Gefangenen“ oder „Wir sind nicht alle Es fehlen die Gefangenen“.
Den österreichischen Behörden schlägt seitdem eine Welle der Solidarität mit den Angeklagten entgegen, die weit über die Tierschutz- und Tierbefreiungsbewegung hinaus geht. „Man kann doch nicht jemanden wochenlang in U-Haft halten, weil man ihm oder ihr aufgrund von Tierschutz-Kampagnen den willkürlichen Vorwurf einer ‚kriminellen Vereinigung’ konstruiert oder einem die Tätigkeit einer Organisation politisch unbequem ist“, meint etwa Birgid Weinzinger von den Grünen, die das Thema auch immer wieder im Innenausschuss der Nationalversammlung thematisiert, aber auch Studierendenvertreter_innen, wie hier Regina Bösch, finden in öffentlichen Stellungnahmen klare Worte: „Mit diesem Vorgehen sollen politisch unerwünschte Menschen aus dem Verkehr gezogen werden“. Deutliche Forderungen für eine Freilassung der Gefangenen und ein Ende der Repression kommen zudem von der KPÖ und anderen sozialistischen Gruppen, vom Dachverband Österreichischer Tierschutzorganisationen, Universitätsprofessoren und nicht zuletzt von Elfriede Jelinek, Schriftstellerin und Literaturnobelpreisträgerin, die in einem offenen Brief schreibt: „Ich finde derartig brutale Aktionen gegen nichts ahnende Menschen skandalös. (...) Für Tierrechte einzustehen ist besonders wichtig, weil Tiere ja nicht für sich selber einstehen können. Also müssen es die Menschen für sie tun. Tiere sind, wie alle Schutzlosen, auf diesen Schutz angewiesen. Solche martialischen bewaffneten Einsätze sind ein Schlag gegen alle Arten von Bürgerrechtsbewegungen und müssen scharf zurückgewiesen werden“. Auch die Menschenrechtsorganisation ‚Amnesty International‘ übte in einem mehrseitigen Schreiben vom 4. Juni scharfe Kritik am Vorgehen der Behörden, vor allem der Behinderung von Anwält_innen und der unverhältnismäßigen Erstürmung der Wohnungen der Betroffenen: „Amnesty International ist (...) irritiert darüber, dass die angeblich vorliegende, konkrete Beweislage nicht in entsprechende Strafverfahren wegen Sachbeschädigung, Nötigung bzw. gefährliche Drohung mündet, sondern das, aus unserer Perspektive problematisch unbestimmte Gesamtdelikt der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation verfolgt zu werden scheint“ .
Seit Anbeginn der Verhaftungen demonstrieren Unterstützer_innen in Österreich zudem regelmäßig vor dem Justizministerium, den Gefängnissen und in den Innenstädten, sowie außerhalb Österreichs vor allem vor Botschaften und Konsulaten. Den bisherigen Höhepunkt der Solidarisierungswelle bildete ein Aktionstag für die Befreiung der Gefangenen und ein Ende der Repression am 4. Juni: International kam es zu 30 Kundgebungen und Demonstrationen, so z.B. in Italien, den USA, Deutschland, Schweden, Großbritannien, Südafrika, Polen, Finnland und vielen anderen Ländern.
Von Freiheit können die Gefangenen derzeit nur träumen
Die Gefangenen befinden sich derweil in verschiedenen Gefängnissen in der Nähe von Wien. Derzeit sitzen sie 23 Stunden in den Zellen und haben nicht mehr als eine Stunde Hofgang. Anwälte werden mittlerweile zwar vorgelassen, aber komplette Akteneinsicht wird ihnen immer noch nicht gewährt, wodurch eine Verteidigung vor den regelmäßig stattfindenden Haftprüfungsterminen nahezu verunmöglicht wird. Jede Verbindung der Gefangenen zur Außenwelt, bspw. über Briefe, ist überwacht. Den Besucher_innen ist es unmöglich, ihre Freunde und Familienangehörigen auch nur zu berühren, denn sie sind während der Gespräche in den Besuchszeiten durch eine Glasscheibe voneinander getrennt und können mit ihnen zudem nur über Telefone kommunizieren. Alles, was gesagt wird, wird durch Ermittler_innen detailgenau protokolliert. Von Freiheit können die Inhaftierten derzeit nur träumen.
Mit dieser Situation gehen die Gefangenen natürlich unterschiedlich um, der Obmann des VgT, Martin Balluch, ist unmittelbar nach seiner Verhaftung in den Hungerstreik getreten. In einem Brief schreibt er am 13. Tag seines Hungerstreiks: „Da ich überfallen und eingesperrt wurde, ohne auch nur den geringsten Verdacht, dass ich ein strafrechtliches Vergehen begangen hätte, sah ich mich genötigt, mein letztes bisschen Autonomie für einen Protest zu nutzen: Ich verweigere das Essen.“ Ihm gehe es aufgrund der Auswirkungen des Hungerstreiks entsprechend schlecht und sei von Schmerzen und Krämpfen geplagt, so Martin Balluch in diesem Schreiben vom 4. Juni weiter. Elmar, Christian und Jan haben sich ebenfalls in Stellungnahmen an die Öffentlichkeit und die Unterstützer_innen gewandt. „Das Schrecklichste hier in der Gefangenschaft ist für mich, von meiner geliebten Frau & meinen geliebten Kindern getrennt worden zu sein. Es ist unbeschreiblich, wie sehr ich sie vermisse“, so Christian, der wie die anderen auch fassungslos über das Ausmaß der Repression ist. Elmar schreibt, dass er sein Vertrauen in österreichischen Rechtsstaat völlig verloren habe. Im offenen Brief von Jan wird aber auch deutlich, dass die Gefangenen nicht völlig resignieren: „Auch wenn die Mauern hoch, dick und mit Stacheldraht bewehrt sind, die Fenster vergittert und die Stahltüren versperrt sind, spüre ich hier drinnen die Solidarität und Unterstützung von draußen!“ Trotz des Kontaktverbots der Gefangenen untereinander ergab es sich hin und wieder, dass sie sich für einige Augenblicke auf Gängen der Haftanstalten sehen konnten. Eine der wohl anrührendsten Nachrichten, die eine Besucherin in den letzten Wochen berichtet hat, ist die zufällige Begegnung von zwei inhaftierten Freunden während der Besuchszeiten. Sie nutzten den kurzen Moment der Unachtsamkeit der Beamten, die ansonsten sehr darauf bedacht sind, die Gefangenen strikt von einander zu trennen, um sich nach Wochen zum ersten Mal wieder zu umarmen und unter Tränen einige Worte miteinander zu wechseln.
So schockierend, einschüchternd und entmutigend diese Formen der Repression sein können, so wichtig ist es aber, genau zu diesem Zeitpunkt unsere Stimme zu erheben und das Ende dieses entsetzlichen Albtraums zu fordern. Das heißt konkret, sich für die Gefangenen und die weiteren Angeklagten einzusetzen, nicht zuletzt um ihnen zu zeigen, dass sie nicht allein gelassen werden. Es darf zudem nicht zugelassen werden, dass diese Einschüchterungs- und Verunsicherungsversuche in einer allgemeinen Ohnmacht, in einer Handlungsunfähigkeit der Tierbefreiungsbewegung enden. Die Repression richtet sich vordergründig gegen einzelne Personen, sie zielt aber immer auch auf alle, die ihre Überzeugungen teilen. Solidarität ist daher die einzige Antwort gegen die staatliche Repression, um den Polizeibeamten, Justizangestellten und den vielen anderen, die sich an der Verfolgung und Kriminalisierung beteiligen zu zeigen: Sie kommen nicht durch!
Sebastian Schubert